Zu Traum 2: Daß sich Goethe in Traum 2 mindestens in Nähe seines Elternhauses aufhielt, ginge u.a. aus der Schilderung des einen Zimmers hervor, in dem es Glasschränke gab, in denen „künstliche Arbeiten" untergebracht waren (S. 60). Sie könnten hindeuten auf die Schränke, in denen Goethes Vater seine Sammlungen verwahrte. Die Gegend der „schlimmen Mauer" wird bisher in die Gegend der Gartenmauer des Bürgers Slym gedacht (Beutler, S.659). Vielleicht gab es eine Mauer, die nur Goethe „schlimme Mauer" nannte? Möglicherweise wurde sie aber durch Traumarbeit zur „slymme Mauer"? Daß der Traum 2 Erlebnisse aus Goethes Leben beinhalten könnte, wäre dem ersten Kapitel der Urfassung des „Wilhelm Meister" zu entnehmen: Wilhelm Meister hat in der Speisekammer Kästen mit Puppentheaterfiguren entdeckt (Beutler, S.40ff). Die Analogie zu den Kästen in Traum 2 dürfte herstellbar sein. Traum 2 enthält eine merkwürdig genaue Ortsbeschrei­bung. Auf dem Gemälde des St. Rochus, zu welchem Goethe die Skizze anfertigte (Abb. I), könnte der Hintergrund die in Traum 2 beschriebene Ortssymbolik enthalten: Eine hohe Mauer, über die ein Zweig herüberreicht; Nußbäume ragen nicht über die Mauer, aber auf dem Mauersims stehen Bäume in Blumentöpfen. Ein „künstlich gearbeiteter Brunnen" ist ebenfalls abgebildet. Eine steinerne Tafel mit „verzierter Einfassung und unleserlicher Schrift" (S.64) ist nicht vorhanden; sie könnte z.B. einen Grabstein darstellen. Dann enthielte auch das St. Rochus-Bild im Hintergrund ein solches Symbol in Form des als Steinsarg geformten Brunnenwasserbeckens. Des weiteren gleicht die Innenhofarchitektur dem Innenhof des Goethe-Geburtshauses in Frankfurt. Dort gibt es eine hohe Mauer mit einem Brunnen. Der Brunnen ist in eine rundliche Mauernische eingelassen, deren Umrandung, ein romanischer Torbo­gen, vom „Steinmetz" ausgemeißelt ist (S.53; s. Abb. II). Über diesem Bogen befindet sich ein spitzbogiger Baldachin, der vielleicht den „größten Mann hindurchgelassen" hätte (S.53). Sarasin deutete den Garten in Traum 2 als den großelterlichen (Sarasin, S. 371). Es scheint eher, daß der elterliche Hof durch Traumarbeit mit Hilfe des großväterlichen Gartens und einer Märchengartensymbolik entstellt worden sein könnte. Möglicherweise spielte Traum 2 im Hirschgraben 23. Die nur von innen zu öffnende „Tür" (S. 53) wäre als Pforte zum Unbewußten
Louise Seidler, Der heilige Rochus [Nach einer Skizze Goethes]
224
225